Triaden des Vertrauens II
Der andere Spiegel
von Gerald Pirner, Fotograf
Das bildlose Bild des blinden Fotografen vermittelt sich durch Gespür und Stimme. In seinen Beschreibungen, in der Stimme dieser Beschreibungen während seiner Arbeit lässt der Blinde einen Raum der Ruhe, der Vertrautheit erstehen, der für ihn im Moment der Berührung der Haut des Antlitzes aufgebrochen wird, eine Nacktheit wiedergebend, die die Nacktheit der Hände übersteigt wohlwissend, dass das Zentrum des Gesichtes sich all seiner Berührung entziehen wird und vielleicht ist dies der Grund, warum der blinde Fotograf das Modell in der Regel die Augen schließen lässt, da es doch nicht selten geschieht, dass die geöffneten Augen das Bild in ihrem Blick aufsprengen, dem Blick, den der Blinde niemals einzuschätzen in der Lage sein wird.
Die Berührung des Antlitzes ist ein Einschnitt in seiner Arbeit, es bricht aus dem Antlitz etwas vom ganz anderen her in die Berührung herein, das vollkommen unberechenbar sich ergibt und er weiß, dass in diesem Moment die Vertrautheit der Situation noch einmal eine andere Qualität erhält, wo die Berührung eines bekleideten Körpers von der Nacktheit eines Gesichtes in gewisser Weise überstiegen wird: Vertrautheit sich in ein Vertrauen hinein vorsichtig zu entwickeln beginnt. Erst in diesem Moment wird spürbar, wie eine Situation, die durch die Ruhe einer Stimme erzeugt wurde, das Modell in ein Vertrauen sich öffnen lässt, eine vielleicht kurze Bewegung, ein Erspüren, wo eine Nähe mit dem ganz anderen sich ergibt, sich etwas ergibt, was man als Hingeben bezeichnen darf. Ein Moment, der bestimmt ist von der Zurückhaltung der Hand, die eben wieder nicht ertastet, die nur berührend spürt, wie der ganze Körper des Fotografen, der nicht erkennend erfasst, nicht begreift und nicht begreifen will, dem es eben nur um diesen kurzen Moment des Spürens zu tun ist.
Das blinde Bild entsteht aber auch unter Mitwirkung einer Dritten, einer Frau, der Assistentin, die sichernd in ihrer Präsenz immer zugegen ist. Da ist die Frau, die die Kamera einstellt, die ein jedes Mal den Prozess des Fotografierens „überschaut“, die das Ergebnis beschreibt, ohne es zu bewerten, da ist die Assistentin, die in die Konzeptionen des Blinden eingeführt ist.
Die Rückkehr des Bildes aus der beschreibenden Stimme einer Frau, die aus der Situation etwas Triadisches macht, die Dualität von Modell und Fotografen endgültig aufbrechend, in der Stimme der Frau als Beschreibung eines Bildes, die Verwandlung eines Bildes in Stimme.
Eine noch ganz andere Gestalt des Vertrauens äußert sich in Gestalt der Assistentin, die nicht nur zu einer ruhigen Situation beiträgt, deren Hauptfunktion, neben der Einstellung der Kamera die Bildbeschreibung ist. Vorab eröffnet der blinde Fotograf der Assistentin sein Konzept, erörtert was er mit dem Bild ins Sichtbare zu bringen sucht. Nachdem er die Assistentin gebeten hat, die Kamera zu schließen, wird ein Bild von ihr betrachtet, dessen Beschreibung sich nicht allein auf Präzision der Erfassung eines visuellen Ereignisses stützt, die einen Blick erfordert, der sich in jahrelanger Zusammenarbeit überhaupt erst entwickeln hatte können. Da aber trägt die Intensität eines Vertrauens eine Arbeitsbeziehung, die selbst von einem Gespür getragen ist.
Jetzt aber beginnt eine ganz andere Arbeit am Bild: was nämlich für nicht unbedingt gelungen auf den ersten Blick erscheinen mag, trägt in sich vielleicht Momente, an denen es sich weiter zu arbeiten lohnt. In absoluter Präzision wird die Assistentin dem Blinden die Momente des Bildes beschreiben, die er selbst für nicht gelungen hält, und gemeinsam rekonstruieren sie den Akt der Fotografie zumal dann, wenn undurchdringliche Momente auf dem Bild erscheinen, die etwas aufweisen, dem es in weiteren Bildern nachzuspüren gilt, Unschärfen etwa, Doppelungen, Schlieren, Verwischungen, nebelhafte Stellen.
Was aber hat all dies mit Vertrauen zu tun. Da ist die Situation der Arbeit und ihrer Überprüfbarkeit: was hat die Taschenlampe des Blinden tatsächlich mit ihrem Licht erwischt, was hat sie nicht berührt und warum soll das genauso sein. Der Blinde braucht einen sehenden Menschen, dem er vertrauen kann, der seinem Denken des Dunkeln vielleicht nicht nahe steht, der es aber versteht und wiedererkennen kann. Dem er zunächst erklärt, was er auf seinem Foto alles gesehen haben will und was nicht auf dem Bild sein soll. Im vertrauensvollen Gespräch entsteht aus den Fragen zur Beschreibung ein neues Bild im Kopf des blinden Fotografen, das er mit seinen Vorstellungen, mit denen er an die Arbeit herangegangen war, abgleicht. Er muss der Genauigkeit der Sehenden und ihrer Beschreibung vertrauen können, ist davon doch alles Gelingen der Arbeit abhängig.
In der Bildbeschreibung also muss eine Detailgetreuheit erstehen, die etwa die Feinheiten der Unterschiede von Serien herausarbeitet, die die Nuancen des Ausdruckes des Modelles erkennt und solche auch dem Blinden zu vermitteln vermag. Dann ist da aber auch ein sehr tiefes Vertrauen in Beschreibung und Sichtgewalt der Assistentin.
Vertrauen ist für den Erblindeten das Wissen um die Kunst der Bildbeschreiber:in, die ihm so präzise das Bild beschreibt, dass er in allen Nuancen sein inneres Bild wiederzuerkennen vermag.
Vertrauen ist ihm die Notwendigkeit des Verständnisses seines blinden Sehens, das sich nicht erneut ein jedes Mal dem Gegenüber der Assistent:in erklären muss.
Die Fotografie des blinden Fotografen braucht eine Beobachter:in, der der Fotograf seine Ästhetik der Zerrissenheit anvertrauen kann.