Die Künstler:innen der Hauptausstellung
Hoda Afshar (IR/AUS)
Erstmals gezeigt wird Hoda Afshars neue Arbeit Speak the Wind (2021). Ein Buch hierzu wird im Juni im MACK-Verlag erscheinen. Das Projekt beschäftigt sich mit der visuellen Repräsentation religiöser Überzeugungen. Auf einigen nahe der Südküste Irans in der Straße von Hormus gelegenen Inseln besteht der Glaube, dass allgemein für böse gehaltene Winde von einer Person Besitz ergreifen und Krankheit oder Unwohlsein hervorrufen können. Um die Winde zu besänftigen und die Geister aus dem Körper zu vertreiben, praktizieren die Inselbewohner eine spezielle Zeremonie. Afshar hat einige Zeit mit diesen Menschen und ihren Bräuchen, den Winden und der Landschaft verbracht. Über Jahrtausende hinweg von den Winden geformt erscheinen die riesigen Felsen der Insel fast fremdartig und ähneln organischen Skulpturen. Um die vielen Bestandteile dieses Projekts zeigen zu können, haben sich die Kuratorinnen für die Projektion einer immersiven Slideshow entschieden. Auf subtile und intelligente Weise hinterfragt Afshar darin traditionelle Formen des Dokumentarischen.
Biografie
Afshar wurde in Teheran, Iran, geboren und lebt heute in Melbourne, Australien. Sie absolvierte ein Bachelor-Studium der Bildenden Kunst und Fotografie in Teheran und schloss ein weiteres Kunststudium an der Curtin University mit einem PhD ab. Sie wird vertreten von der Milani Gallery in Brisbane, Australien. Ihre Arbeiten sind zudem Teil zahlreicher privater und öffentlicher Sammlungen, darunter die National Gallery of Victoria, das UQ Art Museum, die MUMA Collection, die Murdoch University Art Collection, die Art Gallery of Western Australia und die Monash Gallery of Art.
Viktoria Binschtok (D)
Gezeigt werden Arbeiten aus Binschtoks Serie Networked Images (2017 – heute). Mithilfe des Bildsuche-Algorithmus von Google wählt Binschtok ein Bild aus und gleicht es mit anderen Bildern visuell ab. Anschließend stellt sie die Arbeiten in Clustern aus und zeigt so die zufälligen Verbindungen, die dabei entstehen. Das einzelne Bild verliert an Bedeutung und tritt hinter die die so zu Tage treten Assoziationen und visuellen Ähnlichkeiten zurück – oft mit komischem oder melancholischem Effekt. Jedes lineare Narrativ verbannend verweist Binschtok auf die scheinbar willkürlichen, algorithmischen Entscheidungen, die bei jeder Suchanfrage eine neue Anordnung von Informationen präsentieren. Die Bilder, die der Künstlerin vorgeschlagen werden, sind jeden Tag andere und hängen von ihrem Standort, früheren Suchanfragen oder ihrem Konsumverhalten ab – in ihrer Informationsbeschaffung ist sie (wie wir alle) auf diese Weise passiv von der Institution Google abhängig.
Biografie
Binschtok hatte Einzelausstellungen im Folkwang Museum Essen, Kunstmuseum Bonn, C/O Berlin und KLEMM’S in Berlin. Gezeigt wurden ihre Arbeiten außerdem in Gruppenausstellungen u. a. im Centre Pompidou-Metz und Paris, im Museum der Bildenden Künste Leipzig, in der Kunsthall Bergen, dem Kunstverein Bregenz sowie der Fondazione Prada Mailand.
Ingrid Eggen (NO)
Die norwegische Künstlerin Ingrid Eggen befasst sich mit nonverbaler Kommunikation und Körpersymbolik und zergliedert und verzerrt dabei häufig die Körpersprache. In einer Welt, in der Emojis längst für komplexe Emotionen und Gefühle einstehen, berühren diese Fotografien unsere unwillkürlichen Gesten, Reflexe und Instinkte und die unausgesprochenen Botschaften, die sie übermitteln. Da diese Handlungen nicht mehr reduzierbar sind, handelt es sich bei den Fotografien nicht mehr um Repräsentationen, sondern eher um Aktionen oder Gesten, einschließlich der dadurch hervorgerufenen Reaktionen. Diese Gesten bieten eine neue Perspektive, eine mögliche Bruchstelle oder Öffnung an. Sie sind Welten entfernt von der Sprache der sozialen Medien, in denen das schnelle ‚Daumen hoch‘ den Ton angibt. Gerade jetzt zeigen diese Fotografien umso eindrücklicher, wie wichtig zufällige Gesten sind und wie viel von ihnen im Kontext der digitalen Kommunikation verloren geht. Es sind die stillen Momente zwischen Menschen – ein Blick, eine Berührung, ein Zucken – die menschliches Vertrauen wachsen lassen und den Kern von Beziehungen ausmachen. Acht neue Arbeiten aus der Serie werden präsentiert.
Biografie
Eggen studierte Bildende Kunst an der Osloer Kunstakademie und an der Konstfack in Stockholm. Sie hat vielfach in Skandinavien ausgestellt und wird von der Galerie Melk in Oslo vertreten. Ihre Arbeiten befinden sich unter anderem im Nationalmuseum in Norwegen, der Equinor Art Collection und im Haugar Vestfold Kunstmuseum.
Paul Mpagi Sepuya (USA)
Sepuya arbeitet an einer neuen Repräsentation von People of Colour aus einer Black- und Queer-Perspektive. Er arbeitet kollaborativ und schafft Fotografien, die die Beziehung und das Vertrauen zwischen Künstler, Kamera, Publikum und Bild betonen. Er fotografiert sich selbst und seine Freund:innen mit dem Fokus, die Entstehung von Bildern, die Beweglichkeit von Subjektivität sowie die Art und Weise, wie diese Bilder gemacht und gesehen werden, zu dekonstruieren. In seinen jüngsten Arbeiten lädt er seine Freund:innen ein, ihre Kameras mitzubringen und mit und neben ihm im Studio zu fotografieren. Ihn interessiert, wie in einem von ihm aufgenommenen Bild, das sein Spiegelbild neben einer anderen Person zeigt, die ebenfalls ihre Kamera auf ihn richtet (zwei abgebildete Personen), beide Fotografen und Kameras zusammenfinden. TRUST/vertrauen zeigt frühen Arbeiten des Künstlers, darunter Porträts von Freund:innen, die seinen bekannteren Spiegelstudien vorangegangen sind. Ein privater Sammler aus Berlin wird Sepuyas frühe Porträts, Polaroids, Zines und Magazine zeigen und damit einen umfassenden Einblick in dessen künstlerische Praxis geben.
Biografie
Der Künstler Paul Mpagi Sepuya lebt in Los Angeles und arbeitet im Bereich Fotografie. Er ist Associate Professor im Fach Medienkunst an der University of California San Diego. Seine Arbeiten wurden u.a. im Contemporary Art Museum St. Louis, im Rahmen eines Projekts für die Whitney Biennale 2019, in einer Gruppenausstellung im Walker Art Center, im Guggenheim Museum sowie im Contemporary Art Museum Houston gezeigt.
Laure Prouvost (FR)
Im Rahmen von TRUST/vertrauen zeigt die französische Künstlerin die beiden Filme I Need To Take Care Of MyConceptual Granddad von 2010 und Taking Care (Love Letters to Fellow Art Work) von 2019; beide sind Teil von Prouvosts Monitor-Videoserie. In den Filmen spricht sie anonym, ohne dabei ihr Gesicht zu zeigen, über einen vor ihr platzierten Gegenstand. Ihre Hände werden dabei zu Hauptdarstellern der Filme. I Need To Take Care Of My Conceptual Grandad bezieht sich auf einen ideellen Großvater, von dem es heißt, er sei ein guter Freund von Kurt Schwitters gewesen. Möglicherweise handelt es sich hierbei aber auch um eine Anspielung auf den britischen Künstler John Latham, über dessen Katalog sie im Video Feuchtigkeitscreme verteilt. Zu Beginn ihrer Karriere war Latham für Prouvost ein einflussreicher Künstler. Der 2019 entstandene Film Taking Care (Love Letter to Fellow Art Work) bezieht sich auf das vorangegangene Werk. Während des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr zeigte Prouvost den Film auf ihrer Website und wollte damit Trost in diesen schwierigen Zeiten spenden. Die Kamera fokussiert auf ihren Oberkörper und ihre gestikulierenden Hände, die scheinbar versuchen, die Kamera zu streicheln, während sie flüstert: „Ich werde mich um dich kümmern… dich küssen… Wenn du dich alt fühlst, wenn du dich aus der Zeit gefallen fühlst, oder meinst, aus der Mode gekommen zu sein… ich werde für dich da sein“. Die beiden Filme, die sich unmittelbar auf die Zeit beziehen, in der wir leben, haben Prouvost und die Lisson Gallery dem Festival freundlicherweise als Leihgaben zur Verfügung gestellt.
Biografie
Laure Prouvost wurde im französischen Lille geboren und lebt derzeit in Antwerpen. Sie erhielt 2002 ihren BFA am Central St Martins und studierte für ihren MFA am Goldsmiths College in London. Zudem nahm sie am LUX Associate Programm teil. Zu ihren aktuellen Einzelausstellungen gehören „Deep See Blue Surrounding You / Vois Ce Bleu Profond Te Fondre“ im LAM – Lille métropole, Villeneuve d’Ascq, Frankreich, und „MOTHER“ im Louisiana Museum, Humlebæk, Dänemark.
Carmen Winant (USA)
Winant hat für TRUST/vertrauen Poster geschaffen, die an Plakatwänden in ganz Leipzig gezeigt werden und die Ausstellung in der Werkschau eröffnen werden. Ein wichtiges Element des diesjährigen f/stop besteht darin, das Festivalgeschehen über das Gelände der Baumwollspinnerei hinaus auszudehnen. Winant hat hierfür die collagierten Hände der in Deutschland geborenen Schauspielerin Marlene Dietrich als Motiv verwendet. Ihre Arbeit nutzt Installations- und Collage-Strategien, um feministische Formen des Überlebens und der Revolte zu studieren. Ihre Arbeitsweise ist experimentell und an der Schnittstelle zwischen Kunstprojekt und historischem Dokument angesiedelt. Sie fragt danach, wer die von ihr verwendeten Bilder geschaffen hat, warum und für wen. Winant beschreibt sich selbst häufig als Fotografin, die ihre Bilder nicht selbst macht. Schon immer fühlt sie sich angezogen von Fotografie, die die Fotografie zurückweist. Wie sie selbst erklärt, gründet der Übergang zur Arbeit mit Collagen, Installationen und vorgefundenen Bildern in ihrem Misstrauen gegenüber den Verführungskräften von Fotografie. Mit der Verwendung von oft aus Büchern stammenden Bildern Anderer will sie die Grenzen der Fotografie testen.
Biografie
Carmen Winant ist Künstlerin und Autorin und lebt in Columbus, USA. Sie ist Roy Lichtenstein-Stiftungsprofessorin für Studio Art an der Ohio State University. 2019 war sie Guggenheim-Stipendiatin für Fotografie und ihre Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen in Galerien und Museen zu sehen, darunter im MoMA und der Kunsthal Charlottenborg. Winant hat mehrere Fotobücher veröffentlicht, darunter „My Birth“, „Notes on Fundamental Joy“ und kürzlich „Body Index“bei TBW Books.
Guanyu Xu (China)
Zu sehen sein werden neben Bildern aus Xus Serie Resident Aliens (2021) die Arbeit Temporary Censored Home (2018-2019) und das Video Complex Formation (2018). All diese Arbeiten zeigen Außenseiterperspektiven auf eine komplexe Auseinandersetzung mit persönlicher und politischer Geschichte und Identität. Xu beleuchtet die Unterschiede und Verbindungen zwischen den USA, wo er lebt, und China, wo er aufgewachsen ist. In Temporarily Censored Home begibt er sich in das Haus seiner Eltern in Beijing und übersät es mit fotografischen Bildern, die den heterosexuellen Raum in Frage stellen. Resident Aliens bedient sich einer ähnlichen visuellen Strategie und wendet sich den Lebensumständen von Einwanderern in den USA zu. Für Einwanderer ist das eigene Zuhause niemals privat und sicher, sondern bleibt fortwährend ein temporärer Zustand. Das Projekt beschäftigt sich mit Privilegien und Macht und mit der prekären Natur des Vertrauens in Bezug auf Legalität und bürgerliche Akzeptanz für diejenigen, denen sie verwehrt sind.
Biografie
Xu wurde in Beijing geboren und lebt derzeit in Chicago. Er lehrt an der Universität von Illinois und war der Gewinner des Hyéres International Festivals (2020). Seine Arbeiten wurden international ausgestellt und gezeigt, unter anderem in der Aperture Foundation, New York, im ICP Museum, New York und im Museum of Contemporary Art, Chicago, im New Orleans Museum of Art, New Orleans und im Fotomuseum Winterthur, Schweiz. Er wird vertreten durch Yancy Richardson (USA) und die Gaotai Gallery (China).