Digital Wondering 20
Die Digital Wonderings sind eine Reihe von Online-Diskursen rund um das kuratorische Thema TRUST. Sie können jede Form annehmen: von einem Gespräch, über ein kurzes Statement oder einen Film, bis hin zu einer fotografischen Serie. Die von Susan Bright und Nina Strand eingeladenen Mitwirkenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und können nach Belieben auf das Thema und das Format antworten und reagieren.
Portrait des Künstlers Guanyu Xu (CN)
Bilder aus Guanyu Xus Serie Resident Aliens (2021) werden zusammen mit Temporarily Censored Home (2018 – 19) und dem Video Complex Formation (2018) gezeigt. All diese Arbeiten beschäftigen sich mit dem:r Außenseiter:in in einer komplexen Untersuchung persönlicher und politischer Geschichte und Identität. Ferner untersucht Xu die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen China, dem Ort, an dem er aufgewachsen ist, und den USA, wo er jetzt lebt.
In einem Zoommeeting mit den Kuratorinnen Ende Mai erläuterte Xu: „Ich denke über die Macht von Autoritäten nach, Bilder zur Herstellung bzw. Konstruktion von Normen, Bedürfnissen und Ideologien zu benutzen. Aus dem Nachdenken sowohl über chinesische politische Propaganda als auch über Hollywoodfilme entstand mein Verlangen nach den USA und nach der Ideologie des ‚Land of the Free‘. Diese kulturellen Produkte sind eingebettet in die Normen von Männlichkeit, Heteronormativität und Nation.“
In seiner Arbeit gibt es ein tieferes Vertrauen: „Besonders bei den neueren Arbeiten, die während der Pandemie in Zusammenarbeit mit anderen entstanden sind – die Mitwirkenden haben mich in ihre Räume eingeladen, dahin, wo sie ungeschützt und verletzlich sind. Für Resident Aliens habe ich Menschen in den USA mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus getroffen“, schreibt er über diese Arbeit. „Die Serie zeigt die schwierigen Umstände, unter denen Immigrant:innen in den USA leben. Meine Frage war: Wie definieren wir Bürgerschaft und die Legalität eines Menschen in dieser verknüpften Welt?“
Als Xu sich mit einem Asylbewerber unterhielt, war dieser gerade dabei, die Unterlagen für den Antragsprozess vorzubereiten. „Er musste Bilder finden, die BEWIESEN, dass er in einer richtigen Beziehung war. Außerdem musste er eine:n US-Bürger:in finden, um einen Brief zu schreiben, der BEWEISEN sollte, dass er eine gute Moral hatte. Ich fand es faszinierend, wie Bilder, die man für private Zwecke gemacht hat, plötzlich politisiert werden und für Einwandernde zu einer Pflicht werden. Und dass diese Bilder ‚gut‘ und ‚vertrauenswürdig‘ sein sollen, damit der Staat ihnen glaubt. Wird dieser Mensch jemals ein eigenes Bild von sich selbst finden, statt sich immer weiter für die Autoritäten zu inszenieren?“
In Resident Aliens entwickelt er ein Nummerierungssystem, um jedes einzelne Stück benennen zu können: „Die Signatur besteht aus den Initialen der betreffenden Person sowie dem Datum, an dem sie mit einem Langzeitvisum in die USA eingereist ist. Ich dachte dabei daran, dass man in all diesen Einwanderungsdokumenten, oder auch wenn man einen Antrag stellt, zu einer Nummer wird. Die Einwanderungsbeamt:innen müssen sicherstellen, dass alle Unterlagen unter dieser Nummer abgelegt werden. Vermutlich stellen sie sich also nicht echte Menschen vor, sondern sie denken nur in den Kategorien dieser reduktiven Dokumente. Ich verwende Bilder, um das zu unterlaufen.“
Xus frühere Arbeit Complex Formation hat ebenfalls mit Vertrauen zu tun, insofern als er nicht sicher ist, ob seine Eltern etwas über dieses Projekt wissen. Er stellt Handyfotos, die seine Mutter während gemeinsamer Reisen durch die USA und Europa gemacht hat, 3D-Animationen gegenüber, die er selbst gemacht hat. „Auf dem Video sind außerdem ein Monolog von mir und ein Gespräch mit meiner Mutter zu hören, in dem wir uns über unsere unterschiedlichen Ansichten zu Kunst, kulturellem Einfluss, dem American Dream, dem idealen Leben, Sicherheit in den USA bzw. in China und dem, was die Zukunft bringen könnte, unterhalten. Meine Mutter hat die fertige Arbeit nicht gesehen. Sie unterstützt mich in allem, was ich tue.“
„In ihrer Liebe zu mir liegt Vertrauen“, sagt Xu über seine Eltern. „Sie wissen, dass ich in unserem Zuhause ein Projekt durchführe, aber es ist okay für sie, dass ich ihnen nicht zeige, wie die Arbeit genau aussieht. Sie glauben, dass alle meine Bilder Landschaften sind. Das ist ihr Vertrauen zu mir.“ Seine Eltern habe online, durch chinesische Nachrichtenmedien, kleine Bilder von ihm gesehen: „Die Bilder, die sie gesehen haben, waren wegen dem Bildschirm und der Komprimierung unscharf. Daher glauben sie jetzt, was sie vorher schon geglaubt haben.“
In Temporarily Censored Home platzierte Xu heimlich Fotografien in der Wohnung, in der er als Teenager gelebt hat, um die Normativität des heterosexuellen Raums seiner Eltern zu durchkreuzen. „Dadurch, dass ich Bilder platziere, schichte und rekontextualisiere, will ich Zeit und Raum gegeneinanderstellen, durchkreuzen und kollabieren lassen und so mein Teenagerzuhause aufbrechen. Das umfasst auch das Verhältnis zwischen dem Persönlichen und dem Politischen im Kontext der unterdrückerischen Systeme in China und den USA.“
Das führt auch zu der Frage, wie ein Bild jemanden repräsentiert: „Besonders wenn man dieser Person einfach das Etikett eines:r Einwanderers:in oder ein anderes Etikett verpasst. Ich finde es sehr wichtig, sowohl den Raum und den vorübergehenden Daseinszustand dieser Menschen zu zeigen als auch die Bilder, die sie mir überlassen haben. Ich denke darüber nach, wie ich ihre persönliche Geschichte darstellen kann und das, was sie gerade tun. Ich mache in ihrem Raum Fotos und denke über unser Vertrauen zu Bildern nach, und über unser Vertrauen zu der Autorität, mit der ein Bild jemanden repräsentiert. Es ist wirklich wichtig, den:die Betrachter:in aktiv daran zu erinnern, dass Bilder konstruiert sind. Die Identität ist konstruiert, und die Identität ist ständig im Fluss.“
Biografie
Guanyu Xu wurde in Peking geboren und lebt zur Zeit in Chicago. Er unterrichtet an der University of Illinois und war 2020 Gewinner des Hyères International Festival. Seine Arbeiten werden international gezeigt, unter anderem in der Aperture Foundation, New York, im ICP Museum, New York, im Museum of Contemporary Art, Chicago, im New Orleans Museum of Art und im Fotomuseum Winterthur, Schweiz. Er wird durch Yancey Richardson (USA) und die Gaotai Gallery (China) repräsentiert.