24.6.2021

Digital Wondering 15

Die Digital Wonderings sind eine Reihe von Online-Diskursen rund um das kuratorische Thema TRUST. Sie können jede Form annehmen: von einem Gespräch, über ein kurzes Statement oder einen Film, bis hin zu einer fotografischen Serie. Die von Susan Bright und Nina Strand eingeladenen Mitwirkenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und können nach Belieben auf das Thema und das Format antworten und reagieren. 

Portrait der Künstlerin Hoda Afshar (IR/AUS)

Hoda Afshars neue Arbeit Speak the Wind (2021) wird hier zum ersten Mal gezeigt. Ein Buch zu diesem Projekt ist kürzlich bei MACK erschienen: „Auf den Inseln in der Straße von Hormus, nahe der Südküste des Iran, gibt es die Überzeugung, dass ein Mensch von den Winden – die allgemein als schädlich gelten – besessen sein und dadurch krank werden kann. Als Teil eines Rituals, mit dem die Winde besänftigt werden sollen, praktizieren die Bewohner:innen der Inseln eine Zeremonie mit Weihrauch, Musik und Tanz, in der ein traditioneller Kultführer durch den:die Patienten:in hindurch mit dem Wind spricht und ihn zum Verlassen der Person zu bewegen versucht.“

 

Als die Künstlerin Hoda Afshar die Inseln 2015 besuchte, war sie nicht nur von diesen charakteristischen Traditionen der Bewohner:innen fasziniert, sondern auch von den fremdartigen Landschaften, den sonderbaren Tälern und an Skulpturen erinnernden Bergen, die über Jahrtausende hinweg vom Wind geformt wurden. Obwohl die genauen Ursprünge unklar sind, lässt das Vorhandensein ähnlicher Überzeugungen in vielen afrikanischen Ländern vermuten, dass der Kult durch arabischen Sklavenhandel aus dem Südwesten Afrikas in den Süden des Irans gebracht wurde. Dieser selten erwähnte Teil der Geschichte wurde für Afshar zum Ausgangspunkt eines faszinierenden Projekts, in dem sie die Geschichte dieser Winde und die Spuren, die sie auf der Insel und ihren Bewohner:innen hinterlassen, dokumentiert. Mit seinem nuancierten Ansatz, der traditionelle Mittel der Dokumentarfotografie in Frage stellt, ist Speak The Wind ein Versuch, Bilder von dem zu machen, was man nicht sehen kann; eine sichtbare Dokumentation des Unsichtbaren, gesehen mit den Augen der Vorstellungskraft.

 

Für ihre Arbeit mit anderen und über andere sind Kooperation und gegenseitiges Vertrauen entscheidend: „Ich glaube, dass nur so ein offener Dialog zwischen Künstler:in, Kamera und dem Gegenstand entstehen kann. Es liegt in der Intimität von Körper und Raum, in der Bewegung durch die mechanische Kamera und die Gefühle der:sjenigen, die:der das Bild macht, und letztlich in seinem Erscheinen auf der physischen Oberfläche einer Fotografie. Die Wahrheit oder Unwahrheit dieser widergespiegelten Intimität kann man natürlich nicht messen, aber ihre menschliche Dimension ist zweifellos spürbar.“

 

Speak the Wind ist aus genau diesen Überzeugungen und diesem Wertesystem heraus entstanden, aus einem Vertrauensverhältnis mit dem Land und seinen Bewohner:innen, das aufzubauen fünf Jahre dauerte: „Es ist teils autobiografisch und teils inszenierte Dokumentation; eine Aufzeichnung dessen, was ich während all meiner Reisen zu den Inseln in der Straße von Hormus gesehen, gehört, erinnert und imaginiert habe.“

 

Es ist ein nicht-lineares visuelles Geschichtenerzählen, so Afshar, das das Publikum dazu auffordert, durch eine fremdartige Szene nach der anderen zu reisen und ihre Bedeutung über Zeit und Raum hinweg auszuhandeln: „Das Projekt ist aus unvollständigem Wissen entstanden und konzentriert sich auf das, was nicht fotografiert und nicht imaginiert werden kann; Größen wie Wind, Magie, Besessensein von Geistern und Geschichte. Speak the Wind hat seinen Platz irgendwo zwischen Fantasie und Wirklichkeit – wie magischer Realismus.“

 

Biografie

Hoda Afshar wurde in Teheran (Iran) geboren und lebt und arbeitet in Melbourne (Australien). Sie erforscht die Natur und die Möglichkeiten dokumentarischer Bildgebung. Afshar arbeitet sowohl mit Fotografie als auch mit Bewegtbildmaterial und untersucht die Repräsentation von Gender, Marginalisierung und Vertreibung. Sie verwendet Verfahren, die herkömmliche Praktiken der Herstellung von Bildern aufbrechen, mit Präsentation von Bildern spielen und konzeptionelle, inszenierte und dokumentarische Fotografie verbinden. Ausstellungen (Auswahl): We Change the World, National Gallery of Victoria (2021), Between the Sun and the Moon, Lahore Biennale (2020), Remain, UQ Art Museum, Brisbane (2019), Beyond Place, Museum of Photographic Arts, San Diego, CA (2019), Primavera 2018, Museum of Contemporary Art, Sydney und Waqt al tagheer: Time of Change, ACE Open, Adelaide (2018). 2015 wurde sie mit dem National Photographic Portrait Prize der National Portrait Gallery ausgezeichnet und 2018 mit dem Bowness Photography Prize der Monash Gallery of Art, Australien. Hoda Afshar wird von der Milani Gallery in Australien repräsentiert.

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