Digital Wondering 04
Die Digital Wonderings sind eine Reihe von Online-Diskursen rund um das kuratorische Thema TRUST. Sie können jede Form annehmen: von einem Gespräch, über ein kurzes Statement oder einen Film, bis hin zu einer fotografischen Serie. Die von Susan Bright und Nina Strand eingeladenen Mitwirkenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und können nach Belieben auf das Thema und das Format antworten und reagieren.
Vertrauen ist nicht die Abwesenheit von Zweifel
Drei Fragen an die südafrikanische Künstlerin Lebohang Kganye zu ihrer Arbeit und ihrem Nachdenken über Vertrauen.
Deine Arbeit ermöglicht überraschende Einblicke in Deine eigene Familiengeschichte, und damit auch allgemein in die südafrikanische Geschichte vor und während der Apartheid. In der Ausstellung PASS IT ON. PRIVATE STORIES, PUBLIC HISTORIES, die zur Zeit bei FOTODOK zu sehen ist, wird auch deine Arbeit Ho thubeha ha lebone gezeigt – auf welche Weise beschäftigt sie sich mit den Bildern deiner Familie aus der Zeit der Apartheid in Südafrika?
Kganye: Der Titel der Installation, Ho thubeha ha lebone, lässt sich übersetzen als „ein Zerbrechen des Lichts“. Sie ist eine Fortsetzung meines fotografischen Werkkomplexes Reconstruction of a Family (2016) und überspannt mehrere Generationen der Familie meiner Mutter. Sie spiegelt die Geschichte südafrikanischer Vertreibungen insofern, als meine Familie aufgrund der Apartheidsgesetze entwurzelt und umgesiedelt wurde. Die Geschichte – wie meine Großmutter sie weitergegeben hat – von den Umzügen und den vorübergehenden Unterkünften meiner Familie an unterschiedlichen Orten infolge der Umsiedlungen und Landenteignungen schwarzer Südafrikaner:innen während der Apartheid hatte einen direkten Einfluss auf die Identität meiner Familie, und auch auf den Familiennamen. Er veränderte sich bei dem Versuch, sich mit den verschiedenen sozialen und geografischen Orten, an denen die Familie lebte, zu identifizieren, oder auch aufgrund von Nachlässigkeiten auf dem Standesamt. Die verschiedenen Versionen bewahren jeweils Fragmente des Namens in der Aussprache und der Buchstabierung – Khanye, Khanyi, Kganye und Khanyile.
In einem früheren Interview für Objektiv hast du gesagt, dass die Muster in deiner Arbeit, mit denen du anfangs gar nicht gerechnet hattest, die Beziehungen zwischen Erinnerung und Fantasie sind; die Frage, ob Kunst heilsam sein kann; die Verbindungen zwischen Fotografie und Erinnerung; die Performancedimension einer fotografischen Biografie; Fragen rund um den Tod; und das Auftauchen von Geistern und die „Hauntology“. Wir würden gerne wissen, ob deiner Meinung nach Kunst in Bezug auf Vertrauen heilsam sein kann?
Kganye: Derrida schreibt in The Work of Mourning (2001) über den Selbstverlust, den man erleidet, wenn man einen geliebten Menschen verliert – ein doppelter Verlust. Meine Arbeit beschäftigt sich mit Erinnerung und der Rolle, die die Fantasie für Erinnerungen spielt. Meine Wiederverbindung mit meiner Mutter wurde zu einem Ersatz für fehlende Erinnerungen; ich habe „ihre-unsere“ Geschichten einer visuellen Manipulation unterzogen, indem ich mich selbst in ihre Bildnarrative eingefügt und die Schnappschüsse von ihr aus meinem Familien-Fotoalbum nachgestellt habe. Dies ist eine Erforschung von Verkleidungsstrategien in autobiografischen Akten. Setupung sa kwana hae II (2013) und Setshwantso le ngwanaka II (2013) sind digitale Fotomontagen, in denen ich alte Fotos aus den Familienarchiven, die meine Mutter im Alter von Anfang Zwanzig bis Anfang Dreißig zeigen, Fotos gegenüberstelle, die eine gegenwärtige Version von „ihr-mir“ zeigen, um so eine neue Erzählung und Gemeinsamkeit zu rekonstruieren: Sie ist ich, ich bin sie. Ich re-inszeniere das Bild von meiner Mutter an demselben Ort, an dem sie fotografiert wurde, und verbinde mich durch Textilien mit ihrem Geist – ich ziehe dieselbe Kleidung an wie sie und ahme ihre Posen nach, um visuell zu emulieren, wie ich die Mutterrolle meiner Schwester gegenüber übernommen habe, nachdem unsere Mutter gestorben war. Diese Praxis der Reinszenierung dient der Selbstheilung in Bezug auf den Verlust meiner Mutter und der kollektiven Heilung der Familie nach den traumatischen Erfahrungen von Vertreibung und Trennung.
Indem man im Prozess des Erinnerns Details aus Familienfotos extrahiert, kann man Unbewusstes bewusst machen. Als visuelle Strategie, um verstorbene Vorfahr:innen in Erinnerung zu rufen, durch Erinnerung an vergangene Ereignisse, von denen meine Großmutter erzählt hat – in Form von Erinnerungen bzw. Vorstellungen der nächsten Generation. Natürlich kann ein Verlust Misstrauen erzeugen; diese Prozesse der Herstellung von Erinnerungen und der Wiedererlangung von Erinnerungen untersuchen, wie das Vorstellungsvermögen Erinnerungen verändert, um unterschiedliche Erzählungen heraufzubeschwören. Das lässt darauf schließen, dass Trauer angesichts des Todes geliebter Personen Erzählungen und Formen hervorbringt.
Für das Festival, das wir gerade vorbereiten, behaupten wir, dass Vertrauen die Währung des 21. Jahrhunderts ist. Wir wissen nicht, wie die Kunstszene – oder die Fotografieszene – aussehen wird, wenn eine Impfung entwickelt worden ist und die Beschränkungen aufgehoben sind. Was bedeutet Vertrauen für dich in deiner Arbeit?
Kganye: Für mich ist Vertrauen nicht die Abwesenheit von Zweifel; in meiner Welt koexistiert beides. Fotografie nutzt solche Zwischenräume, um auf das Unbewusste zuzugreifen – eine Reaktion auf Verlust mit den Mitteln, die offenbaren, was wir nicht sehen können – Lücken. Wie Barthes beim Anblick eines Bilds seiner Mutter sehen wir eine Person an und sehen den Verlauf ihres Lebens und ganz egal wie lebendig sie aussieht, die Fotografie erinnert uns daran, dass wir alle sterblich sind – dass die Essenz meiner Mutter, die ich in diesen Fotos finde, eigentlich meine eigene Essenz ist, meine Konstruktion dieser Person, meine Erinnerungen an sie und meine Vorstellungen von ihr, die ich nur in einer Rolle kennengelernt habe: nämlich als Mutter. Als Teil der Trauerarbeit kann ein Foto einen melancholisch machen – ein Zustand der Verweigerung, der Depression, von Verlangen und Fassungslosigkeit. Meine Arbeit, insofern sie persönliche Autobiografie und Repräsentation ist, versucht, dieses Fluide einzufangen, das, was durch die Lücken nicht völlig eingefangen werden kann.
Biografie
Lebohang Kganye, geboren 1990 in Katlehong (ZA), lebt als Künstlerin in Johannesburg (ZA). Kganye erlernte die Grundlagen der Fotografie 2009 im Market Photo Workshop in Johannesburg und absolvierte 2011 das Advanced Photography Programme; 2016 machte sie einen Abschluss in Fine Arts an der University of Johannesburg. Sie zählt zu einer neuen Generation zeitgenössischer südafrikanischer Fotograf:innen. Sie wurde mit dem Tierney Fellowship Award 2012 ausgezeichnet, worauf ihre Einzelausstellung Ke Lefa Laka in Johannesburg folgte. 2015 wurde sie mit dem Jurypreis der Bamako Encounters Biennial of African Photography (ML) ausgezeichnet, 2016 mit dem Contemporary African Prize (Basel, CH) und 2017 mit dem Preis der Sasol New Signatures Competition in Pretoria (ZA) in Verbindung mit einer Einzelausstellung im darauffolgenden Jahr. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, darunter das Carnegie Museum of Art in Pennsylvania (US) und The Walther Collection in Ulm (DE).