12.4.2021

Digital Wondering 09

Die Digital Wonderings sind eine Reihe von Online-Diskursen rund um das kuratorische Thema TRUST. Sie können jede Form annehmen: von einem Gespräch, über ein kurzes Statement oder einen Film, bis hin zu einer fotografischen Serie. Die von Susan Bright und Nina Strand eingeladenen Mitwirkenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und können nach Belieben auf das Thema und das Format antworten und reagieren. 

Vertrauen und die Medien

ND870316 – Autopsie einer Tageszeitung (2017) von Fred Hüning ist eine Intervention auf den Zeitungsseiten einer Ausgabe des Neuen Deutschland aus dem März 1987. Auf diesen Seiten wird die DDR als ökonomisch solides und weltweit angesehenes und vernetztes Land dargestellt – nur drei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende von Ost- und Westdeutschland. Indem er den Text überarbeitet, weist Hüning darauf hin, dass in einer Art Personenkult 43 der abgedruckten 48 Fotos das damalige Staatsoberhaupt Erich Honecker zeigen. In einer Welt voller Fake News und alternativer Fakten stellt diese Arbeit Parallelen her zur Vergangenheit und zur ständig zunehmenden Spannung zwischen Bürger:innen, der Presse und der Regierung.

ND870316 – Autopsie einer Tageszeitung – Statement von Fred Hüning

 

Definition: Eine Autopsie oder Leichenschau ist eine Untersuchung des Körpers nach dem Tod, um die Todesursache festzustellen.

 

Das ND oder Neue Deutschland war die offizielle Parteizeitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der Regierungspartei in der Deutschen Demokratischen Republik. Als solche war sie ein wichtiger Teil des Medienapparats der Partei. Mehr als andere Zeitungen in der DDR trug das ND nicht nur alle politischen Entscheidungen der Regierung mit, sondern änderte auch häufig seinen Standpunkt, um die Parteilinie zu unterstützen. Es bemühte sich auch, alle Führungsmitglieder in ein gutes Licht zu setzen, vielleicht vor allem Erich Honecker, den damaligen Generalsekretär des Zentralkomitees der SED.

 

Diese Ausgabe des Neuen Deutschland vom 16. März 1987 ist berühmt geworden. Auf nur 8 Seiten sind 48 Fotos abgedruckt – Staatsoberhaupt Erich Honecker ist auf 43 davon zu sehen. Viele der Artikel handeln von Honecker oder erwähnen ihn zumindest. Ich habe 2016 erstmals von dieser legendären Ausgabe gelesen und wollte herausfinden, was auf diesen 43 Bildern tatsächlich zu sehen ist, wie Honecker dort inszeniert, präsentiert, in Szene bzw. ins Bild gesetzt wurde. Das Redigieren der Texte für dieses Projekt macht die Inszenierung von Erich Honecker sichtbar und illustriert den Personenkult um ihn.

 

Auf den ersten Blick erinnern die acht Zeitungsseiten stark an manche Phänomene der heutigen digitalen Welt: Fake News, alternative Fakten, flexible Realitäten und parallele Welten. Die Bilder und Texte suggerieren, dass die DDR und ihre wirtschaftliche Bilanz solide und erfolgreich waren. Die DDR wird dargestellt als ein angesehenes Land mit guten Verbindungen in alle Welt. Und das waren damals keineswegs Nachrichten, an die niemand glaubte und die sowieso niemand las. Jedenfalls war der westdeutsche Geheimdienst BND drei Jahre später, nach dem Fall der Mauer, höchst überrascht über den desolaten Zustand der DDR und ihrer Wirtschaft.

 

Die Methode der Staatszeitung, alles im Zusammenhang mit Honecker und der DDR als positiv und erfolgreich darzustellen, erinnert an Trump und seine Lobpreisungen im eigenen Namen auf Twitter. In unserem postfaktischen Zeitalter der „alternativen Fakten“ und „Fake News“ wird das Gerede breiter Bevölkerungsschichten von der angeblichen „Lügenpresse“ (gerade in ostdeutschen Gebieten) immer lauter. Meine Arbeit stellt Fragen nach möglichen Ursprüngen für diese aktuelle Entwicklung und die immer stärker werdenden Spannungen zwischen Bürger, Presse und Staat.

Biografie

Fred Hüning lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie und absolvierte eine Sommerakademie in Leipzig bei Gundula Schulze Eldowy. Seine Diplomarbeit Einer wurde zum ersten Teil seiner Buchtrilogie Einer, Zwei, Drei. Die Trilogie in Form von drei schmalen Broschuren wurde 2013 in einem Band unter dem Titel one circle von Peperoni Books neu herausgegeben. Diese Arbeit thematisiert die Lebenszyklen seiner Familie und wurde im Rahmen der Ausstellung Home Truths in der Photographers’ Gallery in London (2013/2014) und im Museum of Contemporary Photography in Chicago (2014) gezeigt. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland zu sehen sowie international u.a. beim Lisboa Photo Festival (Lissabon, Oktober 2021), bei Le Bal (Paris) und beim Fotofestival Łódź in Polen. Er hat sechs Monografien veröffentlicht und an zahlreichen Überblickswerken zur internationalen Fotografie mitgewirkt, darunter Outs (erscheint Ende 2021 bei Skylark Editions, Chicago, und Fw:Books, Amsterdam).

www.fredhuening.de

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